Samstag, 17. Februar 2007

Die Übertriebenheit des Guten

Nicht oft begegnet man in einer Großstadt freundlich gesinnten Zeitgenossen. Und Freundlichkeit ist nett. Zuviel davon kann allerdings bald zu genervtem Unwohlsein führen. Und genau das kann einem ganz schön den Tag vermiesen.

Neulich war ich wieder einmal shoppen. Zwangsläufig musste ich in diversen Schuhgeschäften Halt machen, denn meine Schuhe hatten sich langsam in ein dreckiges Stück Leder verwandelt. Ich überwinde mich also und betrete einen Laden auf irgendeiner Einkaufstrasse. Gleich zu Beginn blickt mir eine etwas biedere Dame vom Verkäuferkollegium in die Augen, um sich auf diese Weise meine geheimsten Wünsche per Gedankenlesen anzueignen. Hilflos stolpere ich die ersten paar Zentimeter durch den Laden, als sich eben diese Dame lautlos von hinten an mich heranmacht. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt sie mich. „Nein danke, ich sehe mich nur ein wenig um!“ antworte ich. Anscheinend nicht bestimmt genug, denn sofort kontert sie mit dem argumentativ äußerst fundierten Satz „Die Herrenschuhe befinden sich einen Stock tiefer.“ Ich folge ihr also nach unten. Dort angekommen, dreht sie sich um und versucht mich erneut in ein Gespräch zu verwickeln. „Suchen sie etwas Bestimmtes?“ Klar, ich hätte ihr mit irgendeinem Designermodell aus 1987 kommen können, jedoch fehlt mir in diesem Moment der Mut für solch eine Rüpelhaftigkeit, noch dazu, weil mir just kein realistisch klingender Name für ein Herrenschuhmodell einfällt. „Naja, ich suche etwas Sportliches. Und doch sollte es elegant sein.“. Freilich eine Kombination, die gerade bei Herrenschuhen als praktisch unmöglich gilt. Nach ungefähr einem Dutzend „Und wie wäre es mit diesen?“ gebe ich auf und schnauze die Dame grob an. „Nein, die gefallen mir nicht. Haben sie keine normalen Schuhe?“. Verdutzt sieht sie mir in die Augen. Ein Lächeln macht sich breit. „Leider, wir sind derzeit etwas knapp, denn nächste Woche kommen die neuen Kollektionen. Sie können uns jedoch wieder beehren, dann finden wir bestimmt etwas Passendes für sie. Ich berate sie gerne wieder!“ Nein, danke. Soviel Freundlichkeit ist nicht gut für meine Seele. Raus aus dem Laden und rein ins nächst beste Stehcafé. Ich öffnen die Tür und... „Willkommen bei Tschibo! Kann ich Ihnen helfen?“. Sanft schließe ich die Tür von außen wieder und steige wenige Minuten später in den Bus, der mich nach Hause bringt.

gump

Die Brutalität der Schiebung

Alle Jahre wieder bricht der Winter über uns herein und taucht das Land in ein herrliches Weiß. Die Stadt verharrt einen Moment, als wäre die Zeit stehen geblieben. Nur selten sieht man Leute über die schneebedeckten Strassen huschen, der Verkehr ist auffällig ruhig. Ein Zustand der so schön sein könnte, wären da nicht ein paar übereifrige Mitbürger, die lautstark gegen diese heile Welt Stimmung machen.

Unlängst lieg' ich im Bett und genieße die Stille, die das winterliche Treiben mit sich gebracht hat. Meine Augenlider scheinen Ästen gleich, die unter der Schwere des Schnees langsam zu Boden sinken. Plötzlich schrecke ich ob eines verstörenden Geräusches auf. Ich lausche eine kurzen Moment, wende mich zur Seite und versuche erneut einzuschlafen. Wenige Sekunden später zucke ich erneut zusammen, denn das unsägliche Geräusch kehrt wieder. Diesmal habe ich es allerdings erkannt, denn es ist nicht das erste Mal, dass mir solch ein Laut zu Ohren kommt. Direkt unter meinem Fenster hat sich offensichtlich jemand dazu auserkoren gefühlt, die Gehsteige der gesamten Gasse mit einer riesigen Schneeschaufel frei zu räumen. Um drei Uhr morgens, bei dichtem Schneefall!

Ich liege nun am Rücken und lausche diesem äußerst störenden Vorhaben, dass mir wie eine Ewigkeit vorkommt. Dabei drängen sich mir in fast sekündlichem Rhythmus Fragen über den Sinn der Sache auf: Wer zum Geier tut mir das nur an? Welchen Grund mag jemand haben, sich mitten in der Nacht in die Kälte zu stellen, um den zu dieser Zeit kaum benutzten Gehsteig vom Schnee zu befreien? Und vor allem, denkt derjenige daran, dass in einer Stunde wieder alles weiß ist, weil es ja noch immer dicke Flocken rieselt? Die monotone Schieberei und meine Gedankenspiele lassen mich jedoch bald wieder einschlafen. Ich träume von einer Begegnung mit Gott. Wir stehen uns an einer Weggabelung in einem Wald gegenüber. Gott hebt seine mächtige Hand und legt seinen langen, knochigen Zeigefinger auf seine Lippen. Stille kehrt ein. Wir sehen uns tief in die Augen und nach wenigen Minuten öffnet er seinen Mund, um mir offensichtlich etwas wichtiges mitzuteilen. In diesem Augenblick dringt aus dem Unterbewusstsein das Geräusch einer Schneeschaufel in meinen Traum und reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Halbwach höre ich Gott noch lautstark lachen, ehe ich mich verzweifelt ins Wohnzimmer begebe und den Fernseher anknipse. Kurz darauf döse ich dann endlich ein, begleitet von den Klängen auf der Strasse und dem Wortgewitter einer deutschen Talkshow-Wiederholung.


gump